Architektur und Musik

2 Proportionslehre von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert

In der Renaissance wurde die pythagoreische Zahlenästhetik wieder aufgegriffen und zu einer umfassenden Proportionslehre in der Architektur weiterentwickelt. Ein eindrucksvolles Beispiel für die aus der Antike überlieferte Entsprechung von Musik und Architektur stellt Leon Battista Albertis Fassadengestaltung des Florentiner Palazzo Rucellai aus dem Jahr 1455 dar. Alberti, der in seinem Traktat De re aedificatoria (1485) unter Bezugnahme auf die Musik bereits die idealen Proportionen für verschiedenen Raumgrößen auf der Grundlage der pythagoreischen Zahlenverhältnisse dargelegt hatte, realisierte bei der Gestaltung der Außenfassade des Palazzo Rucellai ein Proportionsgefüge, bei dem er sogar noch über die pythagoreischen Konsonanzen hinausging. So bezog er bei der Gliederung der Fassade neben der Oktave, der Quinte und der Quarte, d. h. neben den Verhältnissen 1:2, 2:3 und 3:4 sowie deren Vielfache, auch Proportionen mit ein, die mit der Zahl 5 gebildet werden und musikalisch den reinen Terzen (große Terz 4:5, kleine Terz 5:6) und Sexten (große Sexte 3:5, kleine Sexte 5:8) entsprechen. Die Einbeziehung dieser Proportionen, die insbesondere im Proportionsgefüge (Fassadengestaltung, Grundriss und Raumgefüge) der Bauten von Andrea Palladio einen großen Stellenwert haben, nimmt eine wesentliche musiktheoretische Neuerung des 15. und 16. Jahrhunderts auf, nach der neben Oktave, Quinte und Quarte nun auch die Terzen und Sexten als konsonante Intervalle anerkannt wurden. Damit war musikästhetisch der Weg frei für die Dreiklangsharmonik, die das mittelalterliche Quint- und Quartorganum ablöste und zu einem bestimmenden musikalischen Wesensmerkmal avancierte, das bis in die Spätromantik hinein Gültigkeit hatte.

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