Hintergrundgeräusche – Institutionelle Sounds

Ein Galerienraum für Kunst ist meistens ruhig und still. Doch metaphorisch laufen darin gleich mehrere Tonspuren: Im Vordergrund läuft die Musik der Kunstwerke. Das ist ein erzählender Sound, der von den je ausstellenden Künstlerpersönlichkeiten, von formalen Themen, speziellen Anliegen oder Gefühlen handelt. Und dann gibt es noch die Tonspur im Hintergrund. Dieser zweite Sound stammt vom sozialökonomischen Rahmen der Kunst, es ist gleichsam das permanente Surren des Betriebssystems. Es wird gerne überhört, weil es seit langem naturalisiert ist. Aber ohne diesen institutionellen Grundbass ist heutige Kunst kaum mehr denkbar. Es verwundert daher kaum, dass bei der reflexiven Auseinandersetzung mit der Institution der bildenden Kunst und ihren Machtverhältnissen, die sich besonders in Räumen und deren Bespielung ausdrücken, gerade auch realer Sound eine besondere Rolle spielt. Nicht nur weil Sound in Form von Akustik den Raum reflektiert, ihn thematisiert, sondern auch weil die unsichtbaren sozialen Bedingungen im Raum hörbar gemacht werden können beziehungsweise durch Sound auf sie aufmerksam gemacht werden kann. Thema dieses Kapitels ist also ein Umgang mit Sound, der auf unterschiedliche Weise eine Entmystifizierung der kunstinternen Konventionen und Zusammenhänge beabsichtigt, indem er die unsichtbaren oder verdeckten Rahmenbedingungen gezielt zum Klingen bringt. Die entsprechenden Beispiele reichen von experimentellen Kompositionen der frühen 1950er-Jahre bis zur Institutional Critique der 1990er-Jahre. Auch in diesem Zusammenhang kann John Cages Komposition 4'33'' von 1952, die aus drei Sätzen mit der Anweisung es schweigt besteht, als Pionierarbeit gelesen werden. Wie man auf andere Weise den Raum hörbar machen kann, verdeutlicht Alvin Luciers Arbeit I Am Sitting in a Room (1969). Lucier nahm dabei den Satz, der die Aktion beschreibt, auf Tonband auf und spielte ihn wieder ab, um ihn erneut aufzunehmen. Durch den wiederholten Kreislauf wurde der ursprüngliche Satz durch die Resonanz- und Harmonie-Frequenzen des Raums schließlich komplett überformt. Lucier thematisiert mit I Am Sitting in a Room also nicht nur die Übergänge zwischen Sprache und Musik, sondern auch den Ort mit seiner institutionellen Dynamik. Das institutionskritische und feministische Potenzial von Sound setzte Louise Lawler in ihrer Arbeit Birdcalls (1972/81) auf ironische Weise ein. Aus ihrer Frustration über die Dominanz männlicher Künstler im amerikanischen Museumsbetrieb und über die Tatsache, dass Frauen sich im öffentlichen Raum mit Trillerpfeifen gegen sexuelle Übergriffe wappnen mussten, entwickelte sie eine Soundarbeit, in der die Namen berühmter männlicher Künstler wie Vogelrufe gezwitschert werden. Mit den Birdcalls werden die Revierverteidigungskämpfe des Kunstbetriebs und deren geschlechtsspezifische Konnotationen auf symptomatische Weise hörbar. Weit brachialer und zugleich alltäglicher als Lucier und Lawler ging Michael Asher anlässlich seiner Ausstellung in der Claire Copley Gallery 1974 in Los Angeles vor. Zur Veränderung der Sicht-und Hörbarkeit ließ er in der Galerie genau jene Wand entfernen, die den Büroraum vom Ausstellungsraum trennte. Die Besucher der Ausstellung standen damit direkt im Büro und wurden offensiv mit dem täglichen Geschäft und den entsprechenden Gesprächen in einer Galerie konfrontiert. Dies stellte die soziale Kommunikation der Galeristin, die durch ihre Tätigkeit Kunst erheblich mitdefiniert, ins Zentrum der Betrachtung. Fast 20 Jahre später scheinen andere Gruppen entscheidungsrelevant geworden zu sein: In der Arbeit Dinner Party (1992) von Andrea Fraser werden die Gespräche beim Dinner nach der Ausstellungseröffnung eines amerikanischen Mittelklassemuseums neben einem Bild aus der Sammlung übertragen. Fraser, die immer wieder die zwiespältigen Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs und ihre eigene Rolle darin thematisiert, präsentiert den Sound, der im Hintergrund eines prestigeorientierten Kunstbetriebs den Ton angibt.

Alvin Lucier, I Am Sitting in a Room, 1969

William Furlong, Audio Arts, 1973

Dennis Oppenheim, Echo, 1973

Louise Lawler, Birdcalls, 1972/1981

Andrea Fraser, Dinner Party, 1992

Carl Michael von Hausswolff, Mobile Unit for the Detection of Unknown Entities, 2001–2005