Architektur und Musik

1 Die pythagoreische Harmonielehre in Architektur und Musik von der Antike bis zum Mittelalter

Die enge Verwandtschaft von Musik und Architektur ist seit fast dreitausend Jahren aus der chinesischen, ägyptischen und insbesondere griechischen Kulturgeschichte und Philosophie überliefert. Diesem antiken Verständnis folgend, beruhen Musik und Architektur gleichermaßen auf Ordnungsstrukturen, die wir in Form von Zahlenverhältnissen ausdrücken können und die ihre besonderen Exemplifikationen in der musikalischen Harmonielehre und architektonischen Proportionstheorie finden.

Die pythagoreische Harmonielehre gilt in der Antike als universaler Maßstab der musikalischen Komposition und daraus abgeleitet auch als Maßstab des architektonischen Entwurfs – sei es z. B. in Form der Säulenordnungen, des Maßverhältnisses des Grundrisses eines Gebäudes oder der Gestaltung von Fassaden. Im platonischen Dialog Timaios, in dem es um die Erschaffung der Weltseele und um die kosmische Ordnung im Sinne einer Harmonie der Himmelssphären geht, werden die pythagoreischen Verhältnisse des Ganzen zu seinen Teilen erläutert. Zahlenharmonien manifestierten sich nach den Pythagoreern sowohl im Bau des gesamten Kosmos als auch der Struktur der menschlichen Seele. Die früheste Anwendung der pythagoreischen Harmonielehre in der Architektur ist durch Vitruvs Traktat De architectura libri decem aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert überliefert, in dem sie der Bildung gelungener Proportionen handwerklicher Gegenstände dienen sollen. Vitruv forderte zur angemessenen Ausbildung des Architekten auch die Kenntnis der Musik.

Die dem pythagoreischen Harmoniebegriff zugrunde liegende Zahlenästhetik wird – in verschiedenen Variationen und Weiterentwicklungen – für die Theorie und Praxis der Musik und Architektur in den nachfolgenden Jahrhunderten bestimmend. Im Mittelalter wird die antike kosmische Harmonielehre mit einem christlichen Symbolgehalt überhöht und mit besonderen Konstruktionsmethoden (z.B. Goldener Schnitt, Fibonacci-Zahlen) verbunden. Diese Weiterentwicklungen des Verhältnisses von Musik und Architektur werden theoretisch z. B. in den Abhandlungen von Augustinus oder Boethius wieder aufgenommen und finden sowohl in den christlichen Kultbauten, z. B. den mittelalterlichen Klosterkirchen oder gotischen Kathedralen und im berühmten Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt Anfang des 13. Jahrhunderts Anwendung.

Ein besonderer Bezug hinsichtlich architektonischer und musikalischer Harmonie besteht zwischen dem Florentiner Dom Santa Maria del Fiore und Guillaume Dufays Domweihmotette Nuper rosarum flores aus dem Jahre 1436. Zwischen der Zahlenstruktur der Motette und den proportionalen Maßen der Kathedrale sind Analogien feststellbar.

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