Performance Art als Schnittstelle für Visuelles und Auditives

3.7 Instrumente

Nam June Paiks Zusammenarbeit mit der Cellistin Charlotte Moorman stellt das anschaulichste Beispiel für die Auslotung des Potenzials musikalischer Objekte dar. Michael Nyman meinte dazu: Moormans Cello hat jedes andere Instrument, gleichgültig aus welcher Epoche, überboten in der Zahl der Verwendungen, für die es herangezogen wurde.[14] Es erhielt z. B. einen Panzer in Form eines Eisblocks und wurde wieder zum Leben erweckt, indem Moorman das Eis mit Bogenstrichen so lang bearbeitete und reduzierte, bis sie wieder auf den Saiten spielen konnte – ihr physischer Einsatz brachte das Instrument schließlich wieder zum Klingen. Paik und Moorman widmeten sich auch dem Thema Sex und Musik. Paik befand, Sex sei als Diskurselement in der Musik, im Gegensatz zu Literatur und bildender Kunst, noch nicht annähernd ausreichend gewürdigt. Sein diesbezügliches Engagement manifestierte sich am nachdrücklichsten in seiner Opera Sextronique (1967), bei der Moorman mit nacktem Oberkörper auftrat. Diese Hinterfragung der Garderobe-Etikette bei Auftritten (Warum immer das kleine Schwarze?) resultierte in der Verhaftung von Paik und Moorman und einer Nacht in Polizeigewahrsam mit der Begründung, ihr Auftritt habe das Gefühl des öffentlichen Anstands in grober Weise verletzt.[15]

Eine solche Herangehensweise an ein Musikinstrument stellt auch die romantische Idee des Virtuosen in Frage und wurde in Paiks destruktiven Stücken für Violine noch handgreiflicher. Aktion mit einer Violine an Schnur (1961–1975) kann als poetische, wenn auch gewalttätige Re-Präsentation von Paul Klees bekannter Definition des Zeichnens angesehen werden, als Vorgang, bei dem man eine Linie für einen Spaziergang nimmt. Hier war jedoch die Linie in Form einer Schnur an einer Violine befestigt, die von dem Performer kurzerhand für einen Spaziergang genommen wurde, indem er sie auf der Straße hinter sich herschleifte – wobei die Violine Klees Interesse für Musik als strukturgebende Instanz für die bildnerische Komposition darstellte und die Linie eine fünfte Saite zu den vier auf der Violine schon vorhandenen hinzufügte. Paiks One for Violin Solo (1961) stellt eine noch lakonischere Destillation dieses gewalttätigen Impulses dar. Die Violine wird, am Hals gehalten, vom Performer sehr langsam über den Kopf empor gehoben; sobald das Ende dieses Bewegungsablaufs erreicht ist, wird sie mit voller Wucht auf dem vor dem Performer stehenden Tisch zerschmettert. Das könnte mit Jimi Hendrix und Pete Townshend in Verbindung gebracht werden, die auf dem Höhepunkt ihres Bühnenauftritts ihre Gitarren zertrümmerten, wobei sie Zerstörung und Schöpfung zu einem Akt verbanden und zugleich auch Tristan Tzaras Aufforderung nachkamen, die dieser in dem dadaistischen Text Proclamation sans prétention (1919) formulierte: Musiker, zertrümmert eure ›blinden‹ Instrumente auf der Bühne; eine Aufforderung, aus der die Frustration über eine mangelnde visuelle Komponente spricht.[16] Zugleich ist sie eine futuristisch motivierte Attacke auf die Musik der Vergangenheit (Wir wollen die Museen, Bibliotheken und Akademien jeder Art zerstören, verkündeten die Futuristen in ihrem ersten Manifest) und nimmt sich mit ihrem vorwärts blickenden Optimismus ganz modernistisch aus.[17]

Eine noch explizitere Verbindung zum spezifischen Milieu der Rockmusik findet sich in Robin Pages Fluxus-Werk Block Guitar Piece (1962). Hier wird dem Performer zur Erzeugung von Tönen der Gebrauch der Füße statt der Hände vorgeschrieben. Der Performer soll das Instrument mit Fußtritten von der Bühne befördern, dann aus dem Konzertsaal hinaus, einmal um den Häuserblock herum (daher auch der Titel), zurück in den Saal und wieder auf die Bühne; er hat die Gitarre auf einen Spaziergang mitgenommen. Diese Arbeit erinnert an Paik und an die Gitarre mit ähnlichem Schicksal in Luis Buñuels Film L’age d’or (1930). In derartigen Arbeiten dienen Instrumente nicht mehr bloß dazu, Musik hörbar zu machen: Sie werden zu skulpturalen Objekten, Objekten der Fixierung, zu Fetischen.

Richter Milton Shalleck, zitiert in Russel Baker, »From Jail to Jungle: The Work of Charlotte Moorman and Nam June Paik«, in: The Art of Performance: A Critical Anthology, Gregory Battcock und Robert Nickas (Hg.), New York 1984, S. 278–288. Eine interessante Variation über dieses Thema war ihr Auftritt mit Cages 26.1.1499 for a String Player im Cafe au Go-Go in New York 1965. Während des Auftritts kniete Paik mit nacktem Oberkörper auf dem Boden und wurde von Moorman wie ein zwischen ihren Beinen eingeklemmtes, menschengestaltiges Cello gespielt (wobei er versuchte, die Saite auf seinem Rücken möglichst straff zu halten). Dieses Stück stellt eine Inversion der kunstgeschichtlich ikonischen Beziehung zwischen Streichinstrumenten und dem weiblichen Körper dar – das klassische moderne Beispiel ist bekanntlich Man Rays Le violon d’Ingres (1924) – und erinnert uns an die grundsätzliche Körperlichkeit aller taktilen Beziehungen bei musikalischen Aufführungen und wie sehr diese an den Körper gebunden sind; das musikalische Objekt wird zum Subjekt.  
Douglas Kahn hat schon darauf hingewiesen, dass in einer ideologisch postmodernen Zeit die rekuperative Kraft des Hochkapitalismus stark genug war, eine von Hendrix’ 1967 zertrümmerte Gitarre aus dem Status von Sperrmüll wieder in den eines begehrenswerten Objekts zu überführen: Die Gitarre wurde 1991 von Sotheby’s in New York für erstaunliche $45.600 versteigert. Siehe Kahn, »The Latest: Fluxus and Music«.  
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