Performance Art als Schnittstelle für Visuelles und Auditives

4 Multimedialität und Postmodernismus

Was die Trends auf den Gebieten Multimedia und Performance Art der letzten Zeit von Cage und Fluxus unterscheidet, ist ihr Pluralismus und dass sie in einer Weise, die wir als postmodern bezeichnen könnten, populären Idiomen verpflichtet sind. Zum Teil lässt sich dieser Unterschied auf ein (im Vergleich zu den Futuristen) gebrochenes Vertrauen auf die Zukunft zurückführen, das eher dem Nihilismus des Dada nahe steht. In dieser Haltung finden sich gewisse Aspekte der Pop-Art-Sensibilität ebenso wieder wie Zitate aus dem Vokabular, das die Kunst der Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat.

Christian Marclay ist ein Künstler, der das Interesse der Fluxus-Künstler an den Instrumenten selbst fortsetzt. Er beschäftigt sich mit dem visuellen Echo der Musik, das im Gewebe der Gesellschaft nachklingt, und mit dem fetischisierten musikalischen Objekt. Diese Themen sind eng verknüpft mit dem Objektcharakter der Technik, der für ihn greifbar wird in Vinylplatten, Albumcovers, Magnetbändern, Fotografien und Videos sowie von ihm selbst angefertigten Instrumenten, die nicht spielbar sind, wie z. B. Accordion (1999), ein Akkordeon mit surrealistisch vergrößertem Blasbalg, und Lip Lock (2000), eine witzige Kombination von Tuba und Taschentrompete, die an ihren Mundstücken verschmolzen sind. Das Instrument ähnelt einer Hydra, die sich eben durch Knospung fortpflanzt; Durchlässe für die Atemluft gibt es allerdings keine. Marclay spielt auch in Bands, in denen er Musik von Vinylplatten spielt, die oft zerkratzt, zerbrochen oder anderweitig verändert werden.[18] Die Zerstörung des Warencharakters der Musik ist ein Teil dieses Prozesses ebenso wie die Subvertierung dieses Charakters durch Marclays wunderbar parodistische Verwendung von Plattenhüllen. Er war auch an den Cage-nahen Spektakeln Berlin Mix (1993) und Graffiti Composition (1996–2002) beteiligt. In Berlin Mix traten insgesamt 180 MusikerInnen mit sehr unterschiedlichem technischem Können und aus verschiedenen musikalischen Hintergründen, Kulturen und Genres im riesigen Berliner Straßenbahndepot auf. Im Gegensatz zu Cage (der die Dinge sich frei entwickeln ließ und nicht als Dirigent auftrat) dirigierte Marclay diese Truppe aus Turntablisten, Kirchenchören, Keyboardern, Marching Bands mit Musikern aus der Türkei, Deutschland, Afrika etc. Das Ganze ist vor dem politischen Hintergrund Berlins während der Nachbeben zu sehen, die auf den Fall der Berliner Mauer folgten.

In gewisser Weise bildet die Präokkupation der britischen Künstlerin Sam Taylor-Wood mit dem ausführenden Musiker den Gegenpol zu Marclays Beschäftigung mit Musikinstrumenten. Ihre Arbeit Prelude in Air (2006) ist ein Film, in dem ein zwanglos gekleideter Cellist, ganz dem Spiel eines Präludiums von Bach hingegeben, das Werk anscheinend ohne Instrument zur Aufführung bringt. Die Musik und der Musiker sind zum Greifen nahe; das die beiden verbindende Instrument fehlt. Diese Absenz und das dadurch entstehende Gefühl des Verlusts, werden in ihrem jüngsten Werk noch stärker. Sigh (2008) verbindet die Aufzeichnung eines Auftragswerks von Anne Dudley, gespielt vom BBC Concert Orchestra, mit Filmmaterial, das zeigt, wie die Musiker alles aufbieten, was zum Spielen erforderlich ist, allerdings ohne ihre eigentlichen Instrumente. In den meisten zeitgenössischen Arbeiten ist die Vorstellung der Arbeit in einem einzigen Medium durch Mixed Media ersetzt worden. Die Grenzen zwischen Ton, Bild, Ausführenden und Publikum sind dabei oft fließend.

Marclay gründete die Gruppe The Bachelors, Even mit dem Gitarristen Kurt Henry; der Name der Gruppe deutet nicht nur den Einfluss von Duchamp an, sondern auch sein Interesse für Popularmusik jeder Art – in diesem Fall für die Sixties-Band The Bachelors.  
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