Audiovisuelle Montage

3 Wahrnehmungsbezogene Grundlagen der A/V-Montage

Bei der Montage der audiovisuellen Filmteile, die von kleinen Teilen über größere zum fertigen Ganzen zusammengebracht werden (Frame, Take/Einstellung, Sequenz, Szene, Akt, Filmganzes), können sich die Editoren auf die allen Rezipienten innewohnende Disposition der Kohärenzbildung verlassen. Diese beruht darauf, dass sich in der Alltagswahrnehmung der physikalisch vorfindbaren Welt alles kohärent im Fluss befindet und die Wahrnehmung mit Augen und Ohren sich kontinuierlich räumlich und zeitlich ausrichtet. Alles, was in der Alltagswahrnehmung aufeinander folgt, ist objektiv physikalisch kohärent, d. h. wir bilden daraus folgerichtig einen Zusammenhang, unabhängig davon, ob wir beispielsweise von A nach B laufen, fahren oder fliegen. Da die naturwissenschaftlich erklärbaren Kausalgesetze evolutionär in der Entwicklung des menschlichen Wahrnehmungsapparates mit seinen audiovisuellen Subsystemen eingeschrieben wurden, um das Überleben zu sichern, liegen sie auch der Filmrezeption zugrunde, der Wegfall der raum-zeitlichen Kontinuität muss jedoch von der Montage organisiert werden.[10]

Die Filmmontage kann dabei in einem bestimmten Rahmen, abhängig von Sehgewohnheiten und medialem Training, die Zusammenhangsbildung beim Zuschauer antizipieren, vorausgesetzt, dass bestimmte Kriterien für die Kohärenz berücksichtigt werden. Continuity Editing, Eyeline Matching, Match on Action sind Praxiskriterien für den Filmschnitt, den sogenannten unsichtbaren Schnitt, um beim Zuschauer trotz Wegfall der raumzeitlichen Kontinuität einen fließenden Eindruck der Handlung zu evozieren.[11] Der Schnitt trennt und kürzt, damit die Montage die Teile kohärenter zusammenfügen kann. Harte und disjunkte Schnitte, die eben nicht die alltägliche Kontinuitätserwartung bedienen, sind dagegen als gewollte Zäsuren in der Bildabfolge möglich, z. B. bei Sequenzübergängen mit klarer raumzeitlicher Differenz im Handlungsverlauf oder beim Jump Cut als dekonstruktivistischem Stilmittel. Für die Illusionstechnik Hollywoods ist traditionell die Bewegungskontinuität des unsichtbaren Schnitts Trumpf, weil sie hilft, den medialen Aspekt, die Konstruiertheit der filmischen Realität durch Kamera und Montage, zu überspielen.

Die Alltagswelt stellt für uns eine audiovisuelle Ganzheit dar, in der die Regeln der Kohärenzherstellung genauso für Klänge und deren Beziehung zu visuellen Ereignissen gelten. Wenn also die Montage der Bilder per se beim Rezipienten von dessen Annahme einer Folgerichtigkeit ausgehen kann, dann trifft das auch bei der Kombination von Bildern und Tönen zu. Der unmittelbare audiovisuelle Ganzheitseindruck wird auf der Tonspur evoziert, indem man schon die erwähnten reproduzierten mit den repräsentativen Tönen mischt. Die Lippensynchronisation würde von den Rezipienten nicht als solche hingenommen, würden sie die mehr oder weniger minimalen Differenzen zwischen synchronen und asynchronen Lauten nicht zum Gesamteindruck von Silben, Worten, Sätzen, Dialogen vereinheitlichen. Es genügen signifikante Synchronpunkte zwischen Filmbildern und Tönen auf den Lippen der Protagonisten, um einen kohärenten Eindruck von gesprochener Sprache zu evozieren.

Michel Chion hat für dieses Phänomen, bei dem die Verbindung von Bild und Ton immer dann unhinterfragt als gegeben genommen wird, sobald ein Klang in etwa der Hörerwartung der im Bild gezeigten Gegenstände und Menschen entspricht, den Begriff der Synchrese eingeführt.

Die audiovisuelle Montage funktioniert ganz grundsätzlich nur auf der Basis eines audiovisuellen Vertrages, bei dem Produzenten und Konsumenten darin überein kommen zu vergessen, dass der Ton aus Lautsprechern und das Bild von einer Leinwand kommt.[12] In dieser Hinsicht kann der Begriff der Immersion, auf anderen Gebieten des Films bereits etabliert, als Kategorie der Wirkung in den Diskurs über die Wahrnehmungsaspekte der Bild-Ton-Montage einbezogen werden. Mit seiner Herkunft vom lateinischen immersio verweist er auf eine physische Erfahrung des Eintauchens[13] – als ob man sich genauso in die Kinoleinwand stürzt, wie man ins Wasser eintaucht.[14]

Diese Erfahrung des Versunkenseins kann mittels technischer Apparate im Kino, aber auch durch computergestützte virtuelle Realitäten evoziert werden. Ausschlaggebend ist das Moment der Evidenz, der Wirkungsmacht des Es ist so im Rahmen des audiovisuellen Vertrags gegenüber dem, was wir hören, sehen, fühlen. Gerade beim Spielfilm suspendiert man gezielt die Realitätsprüfung[15], um die Evidenz einer Illusion zu erleben, für die man zudem bereit ist, Eintritt oder sonstige Zahlungen zu leisten. Dass es sich dabei um Pseudo-Evidenzen handelt, ist daher kein Widerspruch bei der Rezeption, die im Wissen um die genuine Irrealität oder Eigenrealität des Filmgeschehens[16] die Immersion temporär und partiell zulässt. Sowohl die Folgerichtigkeit in der Sukzession durch die Montage als auch die auditive Synchrese als Einklang mit dem Geschehen durch den dazumontierten und gemischten Soundtrack, forcieren die Immersion. Diese ist intendiert und führt zu einer unhinterfragten Akzeptanz des filmischen Als ob auf der Erlebnisebene.[17] Wie schon die Synchrese zeigt, ersetzt die immersive Einfühlung die Realitätsüberprüfung und macht rationale Begründungen für Existenzannahmen überflüssig.[18] Die Immersion aus der Montage von Bild und Ton schafft eine Ebene für kausale und logische Wahrscheinlichkeiten sowie narrative Kohärenz antizipierbarer Handlungsverläufe und die immersive Einlassung verhilft im Falle des Spielfilms (und nicht nur dort, Anm. d. Verf.) intellektuelle und affektive Qualitäten problemlos zu verbinden.[19] Es verlangt jedoch bei der Filmmontage ein mitlaufendes Bewusstsein des ›Gemacht sein‹ und ist mit fiktionaler Immersion nur dann kompatibel, wenn die entsprechenden Verfahren hinreichend subtil bleiben.[20] Damit schließt sich der Kreis zum illusionistischen unsichtbaren Schnitt, der die audiovisuelle Immersion zusätzlich mit den die Rezipienten umspülenden Schallwellen des Soundtracks kombiniert und so für fiktionale Evidenzerlebnisse prädisponiert. Das Filmerleben wird zu einer überwältigenden Lektüre und fördert einen Eskapismus, bei dem man sich und seine Welt vergisst, sich in die medial projizierte Welt hineinversetzt fühlt und mit ihr im Einklang ist.[21] Diese immersiven Überwältigungsstrategien werden jedoch auch kritisch betrachtet, da sie das kritische Reflexionspotenzial der Zuschauer außer Kraft setzen.

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