Von den Farbenklavieren zur autonomen Lichtkinetik

3 Von Farbenklavieren zur Lichtkinetik im frühen 20. Jahrhundert

Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ist eine starke Zunahme von Farbenklavieren zu beobachten, die durch mehrere Aspekte begründet werden kann:

1. Durch die neuen technischen Möglichkeiten, die die Elektrizität bot – sowohl für die Koppelung der Klaviertasten mit den Lampen als auch für den Einsatz der Lampen selbst – , war es schon im ausgehenden 19. Jahrhundert technisch nicht mehr so kompliziert wie noch im 18. Jahrhundert, ein Farbenklavier zu bauen. Krüger (1743) musste noch ein Ofenrohr in sein Instrument integrieren, um den Rauch der Kerzen ableiten zu können.

2. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es seitens der Sinnesphysiologie zu einer verstärkten Beschäftigung mit Synästhesie, die in zweifacher Hinsicht die Entwicklung von Farbenklavieren beflügelte:

a) Einerseits wurde Synästhesie als weiterer Beleg für eine dem Menschen innewohnende Einheit von Farben und Tönen betrachtet, ergänzend zu physikalisch-mathematischen Analogien.

b) Andererseits war sie symptomatisch für die Überwindung der Wissenschaftsdifferenzierung, vereinte Geistes- und Naturwissenschaft und stand für eine neue Synthese des Geistes.[4] So leitete der Psychologe Georg Anschütz zwischen 1927 und 1936 in Hamburg vier Farbe-Ton-Kongresse, bei denen auch Farbenklaviere und abstrakte Filme vorgeführt wurden.[5]

3. Sowohl das Wiederaufleben der pythagoreischen Idee einer Weltenharmonie um die Jahrhundertwende als auch die Blüte theosophischer Anschauungen – vertreten vor allem durch Helena Blavatsky – waren gerade bei Farbenklavier-Entwicklern beliebt. Meist auf Zahlenproportionen als kosmischen Normen basierend, sollten die verborgenen Geheimnisse der Natur erforscht werden. Blavatsky hatte in ihr Hauptwerk The Secret Doctrine (1888) die bekannte Farbe-Ton-Skala c Rot bis h Violett aufgenommen, die erstmals von Krüger 1743 verwendet worden war.

4. Der Zeitzeuge Alexander László, der selbst ein Farblichtklavier konstruierte, sah folgenden weiteren Grund: Wenn die eingebrochene Katastrophe des Weltkrieges auch jede produktive künstlerische Arbeit insbesondere in Europa verhinderte, so ist wiederum nicht abzuleugnen, dass die veränderte politische Situation wie eine frische Brise durch die Lande wirkte; neue Hoffnungen wurden wach, größere Freiheit des künstlerischen Schaffens gewährleisteten den mutigen Vorstoß der Avantgardisten.[6]

Mit Rimingtons und Schoolings Ideen einer neuen Kunstform begann ein Prozess, der von den musikabhängigen Farbenklavieren des 18. und 19. Jahrhunderts zur autonomen Lichtkinetik im 20. Jahrhundert führte. Der Terminus Farbenklavier meint schon im ausgehenden 19. Jahrhundert vielfach nur noch ein Steuerpult für die Präsentation einer Farblichtkunst. So hieß die entsprechende Vorrichtung zum Beispiel bei Beau und Bertrand-Taillet (1898) nicht mehr Farbenklavier, sondern Klavierartige Vorrichtung zur Ein- und Ausschaltung elektrischer Beleuchtungskörper.

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