Technische Klang-Bild-Transformation

4 Gezeichnete Klänge – Das neue Verhältnis zum Ton

Zu den frühesten künstlerisch motivierten Experimenten mit fotoelektrischer Klangerzeugung zählen die Versuche des russischen Futuristen Arsenij Awraamow aus dem Jahr 1930. Awraamow entwickelte Methoden, Wellenformen zunächst in größeren Formaten per Hand zu zeichnen, um sie anschließend fotografisch skaliert auf der schmalen Tonspur des Films aufzubringen und so Klänge zu synthetisieren. Im selben Jahr arbeitete der Trickfilmzeichner und Ingenieur Rudolf Pfenninger an ähnlichen Methoden zur Entwicklung einer Tönenden Handschrift (DE 1932). Wie Pfenningers Experimente waren auch die Versuche des russischen Erfinders Boris Jankowski in den Jahren 1932 bis 1939 in erster Linie von wissenschaftlichen Interessen an der Elektroakustik und Phonetik geleitet. Jankowski war es, der die Potenziale des Lichttons zur gezielten Klangbearbeitung (spektrale Analyse und Resynthese, Timestretching oder Formantsynthese-Verfahren) ausschöpfte.[8]

Von den medientechnischen Voraussetzungen des Lichttons wurden jedoch bereits in den 1920er Jahren auch Formungsbedingungen für die künstlerische Produktion abgeleitet. László Moholy-Nagy beispielsweise distanzierte sich im Jahr 1927 von Konzepten der Farblichtkunst und sah in der Optofonetik den Ort, an dem der ästhetische Diskurs über das Verhältnis des Optisch-Kinetischen und des Akustisch-Musikalischen zukünftig geführt werde.[9] In seinem 1933 veröffentlichten Aufsatz Neue Filmexperimente[10] bezieht er sich auf die künstlerische Aneignung der Lichttonmethode als Bestätigung seiner bereits 1923 verfassten Thesen zu den Möglichkeiten des Grammophons.[11] Bemerkenswert ist, dass Moholy-Nagy in diesen Texten wie auch John Cage in seinem 1937 gehaltenen Vortrag The Future Of Music: Credo zwei antagonistische Modelle des künstlerischen Umgangs mit dem Lichtton skizzieren. Auf der einen Seite fordern beide Autoren das exakte Studium der grafischen Zeichen der verschiedensten akustischen Phänomene[12], um eine umfassende Kontrolle über das Obertonspektrum zu erhalten und Partialtöne in beliebiger Frequenz, Amplitude und Dauer verfügbar zu machen[13]. Zudem werde die Lichttonmethode erlauben, die Musik völlig neu zu gestalten[14] und Methoden hervorbringen, die eine deutliche Beziehung zu Schönbergs Zwölftonsytem aufweisen[15]. Ganz im Sinne der Auffassung Theodor W. Adornos, nach der das Neue in der Kunst aus der fortschreitenden Evolution des künstlerischen Materials emergiere, wurde der Lichtton als Instrument zur subjektiven Kontrolle über die Organisation von Klang verstanden. Auf der anderen Seite führten Moholy-Nagy und Cage in der Reflexion über den Lichtton das Konzept einer experimentellen ästhetischen Praxis ein. Jegliches optische Material könne als Quelle für die Klangerzeugung dienen.[16] Der apparativen Logik der Fotozelle überlassen, sind die klangliche[n] Resultate theoretisch nicht abzusehen[17]. In diesem Zusammenhang verweist Moholy-Nagy auf Experimente, bei denen das Profil eines Menschen […] auf ein Filmband gezeichnet und dann hörbar gemacht[18] wurde. In diesen Versuchen, die zweidimensionale Spur der menschlichen Physiognomie aufgrund der ikonischen Ähnlichkeit mit der Transversalschrift des Phonographen hörbar zu machen, äußert sich ein Anthropomorphismus, der auch Rainer Maria Rilke zu der Idee anregte, die Kranznaht eines menschlichen Schädels mit einer Phonographennadel abzutasten.[19] Moholy-Nagy beschreibt darüber hinaus die Studien des Filmemachers Oskar Fischinger, der sich neben seinen Studien zur Synchronisation von Instrumentalmusik und animierten visuellen Formen seit ca. 1931 mit dem gezeichneten Lichtton beschäftigt hatte. Fischinger brachte geometrische Muster und Ornamente auf der Tonspur des Filmstreifens auf, wobei auch er die Diskrepanz zwischen der Zeichenhaftigkeit dieser Figuren und dem gänzlich indifferenten medialen Blick der Fotozelle kaum thematisierte, denn er schrieb in zwei Zeitungsartikeln von 1932: Zwischen Ornament und Musik bestehen direkte Beziehungen, d.h. Ornamente sind Musik. […] Man darf vielleicht hoffen, dass sich Beziehungen zwischen linearer Formschönheit und musikalischer Schönheit finden lassen.[20] Zwar können wir die optische Tonspur als zweidimensionale Gestalt wahrnehmen, doch die Fotozelle wertet nur jeweils eine optische (schwankende Lichtintensität) und eine zeitliche Dimension (Frequenz der Intensitätsschwankung) aus. Deshalb können unterschiedliche optische Muster auf der Lichttonspur dieselben Intensitätsdifferenzen verursachen und werden daher als gleich klingend wiedergegeben. Folglich kann von einer eindeutigen Entsprechung von geometrischen Formen und Klang nur bedingt die Rede sein; diese muss mit Blick auf die Wechselwirkung von medialer Operation und menschlicher Wahrnehmung differenzierter gelesen werden.

Die Möglichkeit der audiovisuellen Transformation provozierte ein Changieren zwischen semiotischen und medialen Registern, welches Guy Sherwin in seinen gut vierzig Jahre nach Fischinger realisierten Optical Sound Films (UK ab 1971) reflektiert. Sherwin fand das patternhaft Zyklische des optischen Filmtons nicht in der abstrakten Zeichnung, sondern im fotografischen Abbild, indem er Zaunpfosten oder Treppenstufen mit der Kamera abfuhr und sowohl auf die Bild- sowie auf die Tonspur belichtete. Das Hörbarmachen der dem Indexikalischen verhafteten Fotografie als Spur eines Licht- und Schattenspiels, das von architektonischen Elementen herrührt, treibt Sherwins Konzept des Medienwechsels auf die Spitze. Im Film Newsprint (UK 1972) verleiht er dieser Zuspitzung besonderen Nachdruck, indem er Zeitungspapier auf den Zelluloidstreifen klebt und so das räumlich distanzierte Ablichten durch direkten physischen Kontakt ersetzt. Film wird wörtlich zum Bild- und Tonträger. Sherwin lässt hier Schrift und Filmton, d. h. Symbol und Signal, aufeinander prallen.

Den Versuch, die optische Aufzeichnungsart der Lichttons simultan visuell erfahrbar zu machen, unternahmen unter anderen auch Norman McLaren[21] (Synchromy, CA 1971) und Lis Rhodes (Light Music, UK 1975). Die Anlage der Bildspur in diesen Filmen entspricht den äquidistanten Balken auf der Lichttonspur. Für die transformatorische Verwendung des Lichttons in der zeitgenössischen Kunstpraxis sind besonders Arbeiten von Bruce McClure und das Tonewheels-Projekt von Derek Holzer repräsentativ.

Diese Formulierung findet sich bereits bei Überlegungen zu einer handgeschriebenen Ritzschrift für das Grammophon. Moholy-Nagy, »Neue Gestaltung in der Musik«, 1986, S. 309.  
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