Staudammkonzert

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Riflessione di una Diga (1987) von Andres Bosshard
Courtesy the Artist

Der Schweizer Klangkünstler Andres Bosshard arbeitet an der Schnittstelle von Musik, bildender Kunst, Gestaltung und Architektur. Seine Arbeiten zeigen, dass der architektonische Raum immer auch Klangraum ist. Besonders das 1987 realisierte Staudammkonzert in Fusio, Bosshards erstes Großprojekt, macht anschaulich, wie stark architektonische Elemente akustisch auf ihre Umgebung einwirken.

Im Rahmen des Festivals Musica Improvvisata Contemporanea (M.I.C.) in Ascona fand im Juli 1987 das Staudammkonzert Riflessione di una Diga (Reflexion eines Damms) am Fuß der 113 Meter hohen Staumauer in Fusio statt. Livemusiker waren Nachtluft: Günter Müller (Schlagzeug, Elektrozeug), Jacques Widmer (Schlagzeug), Andres Bosshard (Kassettenmaschinerie, Raumakustik) und darüber hinaus Philip Edelstein (Computer, Openface Electronics) und Genji Ito (Shakuhachi). Das Konzept für dieses Konzert hatte Bosshard zusammen mit Philip Edelstein entwickelt, der 1973 als Mitglied von Composers Inside Electronics an der kooperativen Realisierung des elektroakustischen Environments Rainforest IV von David Tudor beteiligt war. Hierbei ging es darum, Objekte durch Transducer (Kontaktlautsprecher) in Eigenresonanz zu versetzen, diese durch Kontaktmikrofone zu verstärken und damit der plastischen Raumpräsenz dieser Gegenstände eine akustische Gegenwärtigkeit zur Seite zu stellen. Rainforest IV lieferte mit dieser Verknüpfung von Auditivem und Visuellem einen wichtigen Impuls für die Idee zum Staudammkonzert.

Durch die präzise Positionierung von acht kleinen Lautsprechern, die an einer 300 Meter langen Seilkonstruktion befestigt waren, gelang es Bosshard, den Staudamm als monumentalen Klangreflektor zu nutzen, seine Form gleichsam hörbar zu machen: Wie durch einen Brennspiegel wurde der auf die parabolisch geschwungene Mauer gerichtete Schall akustisch fokussiert und war mitunter noch in 10 Kilometer Entfernung wahrzunehmen. Auch die mit der immensen räumlichen Ausdehnung des Staudamms verbundene Reflexionszeit prägte den Höreindruck im Maggiatal. So hatten die Musiker am Fuß der Mauer musikalisch mit einer Delayzeit von 1 Sekunde zu arbeiten und waren aufgefordert, den Reflektor als instrumentales Objekt mit einzubeziehen. Diese akustische Eigenschaft prägte die Konzertsituation ebenso wie die Charakteristik der verwendeten Klangerzeuger. Dabei ist die klangliche Wirksamkeit der Staumauer so nachhaltig, dass hier die Ortsspezifik der Aufführungssituation in den Vordergrund rückt und architektonische Form auch in ihren akustischen Dimensionen erfahrbar wird.