Arnulf Rainer

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Lupe
Der Film Arnulf Rainer (1960) von Peter Kubelka als Applikation an der Wand
© Peter Kubelka, courtesy the artist

Bei der Herstellung des nach dem Wiener Künstler Arnulf Rainer benannten Tonfilms verwendete Peter Kubelka vier Streifen unterschiedlichen Materials: Blankfilm, Schwarzfilm, Perfoband mit aufgenommenem weißen Rauschen[1] und unbespieltes Perfoband. Somit setzt sich der Film aus den vier unterschiedlichen Elementen Licht, Dunkelheit, Rauschen und Stille zusammen, wobei es sich um audiovisuelle Entsprechungen handelt, denn weißes Rauschen enthält wie weißes Licht sämtliche Frequenzanteile des Spektrums mit konstant gleicher Amplitude. Der Filmton liegt also wie das Bewegtbild in seinen zwei Extremen vor: Präsenz und Absenz im stroboskopischen Wechsel substituieren die Repräsentationsfunktion des Films und machen ihn zum Ereignis. Dabei wird die Illusion kinematografischer Bewegung sichtbar gemacht: Das Interpolieren des Auges zwischen den aufblitzenden Filmkadern als Voraussetzung für das Verschmelzen der Einzelbilder zu einer kontinuierlichen Bewegung. In der Regel läuft dieser sinnesphysiologische Prozess unbemerkt ab, wird aber bei kontrastiven alternierenden Stimuli als Nachbilder auf der Netzhaut nun erfahrbar. Mit dieser Irritation, durch die der visuelle Wahrnehmungsapparat auf seine Physiologie zurückgeworfen wird, formuliert Kubelka aber nicht allein eine Kritik an der scheinbar selbstverständlichen Voraussetzungslosigkeit des ungestörten Blicks[2], sondern veranschaulicht zugleich seine emphatische Auffassung von Film als Rhythmus. Film wird hier zu einer metrischen Kunstform, denn die Projektionsgeschwindigkeit von 24 Bildern in der Sekunde gibt den Grundpuls vor und ist somit grundlegendes Metrum für die Interdependenz von Klang und Bild. Vor allem in Gestalt variierender Synchronitätsverhältnisse wird das Prinzip des metrischen Films deutlich, wie die Partitur für die Licht- und Klangereignisse von Arnulf Rainer veranschaulicht. Die Bild- und Klangkader sind komplementär, quasi kontrapunktisch in mikrostrukturellen Motiven gegeneinandergesetzt, aus denen sich variierende Makrostrukturen ableiten. Hierin zeigt sich eine konzeptuelle Nähe zum musikalischen Prinzip der entwickelnden Variation; Klang und Bild sind strukturiert als eine audiovisuelle Zweistimmigkeit. Es handelt sich bei Arnulf Rainer also weniger um einen Transfer bestimmter Formelemente von der Musik in die bildende Kunst im Sinne einer strukturellen Analogiebildung, sondern vielmehr um eine strukturelle Identität von Klang und Bild, die in dieser Art nur im Medium Tonfilm anschaulich wird.


Dass es sich beim weißen Rauschen um ein theoretisches Modell handelt und Rauschen in der medientechnischen Praxis immer durch die spektrale Hüllkurve nicht-linearer Frequenzgänge von Synthese-, Aufnahme- und Wiedergabeapparaten gefiltert wird, sei hier nur am Rande angemerkt.  


 

Werkdetails
  • Originaltitel: Arnulf Rainer
  • Datum: 1960
  • Werkdauer: 6′
  • Genre: Kurzfilm

siehe auch: Werke

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