Entr’acte

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Filmstill aus Entr'acte (1924) von René Clair

René Clairs auf der Schwelle vom Dadaismus zum Surrealismus angesiedelter Stummfilm Entr’acte (1924) ist als Bestandteil des zweiteiligen Balletts Relâche von Francis Picabia entstanden. Zum Film sowie zum Ballett hat Erik Satie die Musik beigesteuert.

Der Film gliedert sich in einen kurzen Prolog (eine Kanone wird auf den Zuschauer gerichtet), der vor dem Heben des Vorhangs zu Beginn der Aufführung gezeigt wurde und einen Zwischenakt im engeren Sinn, der in der Pause projiziert wurde. Satie und Picabia treten im Prolog als Darsteller auf – neben anderen bedeutenden Avantgardekünstlern der Zeit wie Marcel Duchamp (Schachspiel über den Dächern).

Der Film bietet eine verwirrend faszinierende Fülle von Bildern: Kämpfenden Boxhandschuhen folgt die Großaufnahme der Kopfhaare eines Mannes, auf denen Streichhölzer tanzen. Eine kratzende Hand ist zu sehen, danach eine auf einem Tisch mit Glasplatte tanzende Ballerina, die sich später als bärtiger Mann enthüllt.

Eine narrative Struktur besitzt der Film nicht. Dies entsprach Picabias Überzeugung, dass die wirklichen Sinnenfreuden nichts mit erklärbarer Logik zu tun haben. Unauffällig sind die Verknüpfungen, die Clair durch wiederkehrende Bilder vorgenommen hat (etwa ganz zu Anfang die kurze Einblendung eines Bildes aus der späteren Verfolgungssequenz). Zwischen Spaß und Unterhaltung ist das Thema Tod versteckt (Schließen des Sargdeckels im ersten Teil, Auferstehung aus dem Sarg am Schluss). Die längste zusammenhängende Passage ist der Verfolgung eines von einem Dromedar gezogenen und mit Würsten behängten Leichenwagens gewidmet. Diese Verfolgung beginnt in Zeitlupe und steigert sich immer mehr, bis zum Schluss nur noch in Flecken aufgelöste Baumwipfel vorbeiziehen.

Die Musik von Erik Satie mit dem Titel Cinéma ist sein letztes Werk. Sie ist für Orchester gesetzt – nahe liegend, weil sie als Zwischenaktmusik in einem Ballett fungierte. Sie existiert jedoch auch in einer Fassung für zwei Klaviere. Kleingliedrige, sich wiederholende Elemente – typisch im Allgemeinen für Filmmusik, die mit dem Schnitt rechnen muss – sind meist zu achttaktigen, manchmal zu viertaktigen, selten zu zwölftaktigen Abschnitten montiert, die sich ihrerseits wiederholen. Die Abschnitte sind in geradzahlige Unterabschnitte gegliedert. Auffällig ist daher die Irregulariät (5+2+3+2 Takte), wenn das Papierschiffchen (Doppelbelichtung) torkelnd über die Dächer fliegt. Insgesamt entsteht einerseits der Eindruck einer entwicklungslosen, die Bilder zusammenfassenden Grundierung, anderseits aber auch die Empfindung einer Gliederung der visuellen Schicht beim Wechsel der musikalischen Abschnitte. Satie hatte für diese syntaktisch strukturelle Funktion seiner Musik den Film mit einer Stoppuhr in Zeitlängen eingeteilt[1] und in den Noten durch zehn Hinweise zu Bildeinstellungen die ihm notwendig erscheinende Synchronisation der musikalischen Abschnitte ermöglicht. Besonders wichtig ist dies bei dem Walzer, der die Ballerina begleitet, und dem Trauermarsch zum Leichenzug. Fünf dieser Abschnitte sind deutlich markiert durch die Unterlegung mit der Anfangsmusik. Differenzierung leisten unterschiedliche Dynamik- und Tempoangaben, die sich zweimal aus den Hinweisen zu Bildeinstellungen ergeben. Am Schluss steigert die Musik den Eindruck des Tempos der Bilder, die visuell nicht mehr beschleunigt werden können. Dazu benutzt Satie kleiner werde Notenwerte und eine Steigerung des Tempos, das zuvor, gemessen an der visuellen Schicht, einen langsameren Ausgang genommen hatte. Bild und Musik ergänzen sich wechselseitig zu einer Gestalt. Entr’acte realisierte somit die avantgardistische Idee einer Kunstsynthese.




 

Werkdetails
  • Originaltitel: Entr’acte
  • Datum: 04.12.1924
  • Werkdauer: 22′
  • Genre: Stummfilm

Spezifikation
Stummfilm
Frankreich

Werkbiografie
Synchronfassung (1968, Pathé) von Henri Sauguet. Sauguet hatte durch die Vermittlung von Darius Milhaud 1923 Satie noch persönlich kennengelernt.