AV-Parameter-Mapping in der Musikvisualisierung

5 Der Live-Faktor

Der ursprüngliche Anwendungsbereich von digitalen Echtzeit-Visualisierungen umfasste Club-Visuals (VJing) und Live-Performances im Rahmen von elektronischen Musik-Konzerten (Live Cinema). Während ein Club-VJ häufig solitär neben dem DJ arbeitet, erforschen visuelle KünstlerInnen bestimmte Zusammenhänge zwischen Klängen und Bildern in Produktionsgemeinschaften mit Audio-KünstlerInnen. Eine enge Zusammenarbeit von MusikerIn und visueller KünstlerIn bewirkt vor allem im Live-Kontext, dass die Musik und das visuelle System gut aneinander angepasst sind. Hierbei hat sich der Einsatz von Visuals auf Events jeder Art, wie z. B. auf Konzerten und bei Installationen bis hin zum Design von professionellen Theateraufführungen, ausgeweitet.

Im Vorfeld einer Live-Performance werden die Sets für die musikalische Darbietung und die visuelle Ebene in der Regel intensiv vorbereitet. Die Ästhetik der Bildebene wird durch die richtige Auswahl des Ausgangsmaterials, wie fotografische Standbilder, Filmsequenzen, Schrift, geometrische Objekte und abstrakte Elemente, bestimmt. Ganz wesentliche Bestandteile sind dabei die Steuerbarkeit der Elemente und ein hoher Grad an Interaktion. Viele KünstlerInnen verändern ihre Sets für jedes Konzert und erarbeiten so über einen längeren Zeitraum ihren eigenen Werkzeugkoffer. In der Praxis und durch wiederholte Aufführungen entsteht so ein Repertoire an Effekten. Diese individuelle Methodik resultiert in einem persönlichen und im besten Fall innovativen Stil und hat damit den Mehrwert einer künstlerischen Auseinandersetzung.

Die Steuerung der einzelnen Parameter kann über die Schnittstellen Maus oder Tastatur erfolgen (virtuelle Knöpfe oder Regler am Bildschirm, Verwendung der Daten der Maus-Position oder Tastenkombinationen) oder mithilfe von externen Geräten ausgeführt werden (um nur wenige der vielen Möglichkeiten zu nennen: MIDI-Controller, Joystick, WII Remote Control, iPhone-Applikationen via OSC, etc.)

Nicht jede Art von Sound ist für jedes visuelle System und dessen immanente Soundanalyse geeignet. Die Komplexität eines visuellen Ergebnisses auf Basis von Audiodaten ist abhängig von der Quantität und Qualität der musikalischen Parameter. Analysiert man nur den Parameter Lautstärke, so wird z. B. ein gleichmäßig tief rauschender Sound mit kurzen zwischengeschalteten hochfrequenten Tönen auf der visuellen Ebene kaum zu differenzieren sein. Eine genauere Frequenzanalyse des Sounds ermöglicht es, die Töne in verschiedene Frequenzbänder aufzuteilen, sodass Datenwerte für hohe, mittlere und tiefe Töne ermittelt und zur Bilderzeugung eingesetzt werden können.

Die eigentliche Audio-Interpretation findet bei einer Live-Aufführung tatsächlich erst durch den Menschen als Filter und Interpret statt. Die Entscheidungen über den Einsatz der Steuerungsmöglichkeiten werden im Moment getroffen und führen so zu einem nicht wiederholbaren und einzigartigen Ergebnis – visuelle KünstlerInnen improvisieren live mit ihrem Set. Audiovisuelle Aufführungen im Bereich der elektronischen Musik beanspruchen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit des Rezipienten und sind deswegen zeitlich oft auf nur 35 bis 45 Minuten angelegt.

Das klassische VJing im Club-Kontext ist oft nur der erste Schritt für KünstlerInnen im Bereich der audiovisuellen Gestaltungsmöglichkeiten. In den letzten Jahren hat eine zunehmende Ausdifferenzierung von Genres stattgefunden. So wird beispielsweise der Begriff der Sound Sculptures auch zur Beschreibung von künstlerischen Arbeiten verwendet, die aus generierten Klängen und Bildern bestehen.[16]

Zeitgenössische KünstlerInnen, die Verbindungen von Ton und Bild untersuchen, widmen sich nur bedingt dem Spiel im Live-Kontext. Sie produzieren multimediale Arbeiten, die auf Festivals aufgeführt oder als DVDs publiziert werden und/oder entwickeln Installationen, die im öffentlichen Raum ihre Wirkung entfalten. So manche Institution oder Organisation gibt generative Kunstwerke in Auftrag, die auf eigens errichteten Objekten samt Screen und Lautsprecher ihre Wirkung entfalten.

Insbesondere im öffentlichen Raum ist eine zunehmende Nutzung synthetischer Flächen als potenzielle Screens feststellbar. Mit der Verbreitung der LED-Technik gibt es bereits heute zahlreiche Gebäude und Werbewände, die bespielbare Oberflächen aufweisen und auch für künstlerische Interventionen genutzt werden.

Ende 2008 wurde die DVD advanced beauty, kuratiert von Matt Pyke (Universal Everything), veröffentlicht, die 18 audio-reaktive Video-Sound-Skulpturen enthält. Die Videos gestalten sich als physikalische Manifestationen des Sounds, geformt durch die Veränderungen der Lautstärke, der Tonhöhe oder der Struktur des dazugehörigen Soundtracks. Siehe auch online unter: http://www.advancedbeauty.org.  
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Zeitrahmen:ab 1990
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