Filmmusik

4 Der Aufstieg der Filmmusikkomponisten und die Entwicklung von Kompositionstechniken

Um 1935 stieg das Ansehen der Filmkomponisten, zeitgleich mit der Etablierung fester Orchester (etwa 50 Mitglieder) der großen Filmstudios. Überdies hatten fast alle Filmkomponisten eine gediegene akademische Ausbildung und vielfach einen Namen außerhalb der Filmbranche. Die Unterschiede zwischen autonomer Musik und Filmmusik wurden als gering erachtet. Deshalb wurde letztere oftmals in eine Konzertsuite umgewandelt. Sinfonische Musik, nicht selten mit Chor überhöht, war für die Leinwand angesagt. Sergej Prokofjev, Benjamin Britten, William Walton, Arthur Bliss und viele andere komponierten für den Film. Ästhetisch gesehen bedeutete der Tonfilm keinen Bruch mit der vorangegangenen Praxis.[12] So wurde am Underscoring festgehalten, Geräusche von Wind oder Regen wurden weiterhin mit Instrumenten imitiert (beispielsweise gab es tropfende Achtel im Klavier zum Landregen in Sunset Boulevard, US 1950, R: Billy Wilder, M: Franz Waxman). Der Meister des Ersatzes von Geräuschen durch instrumentale Klangfarben war der Filmmusikkomponist Bernard Herrmann. Eindringlicher als mit seinen hohen, schrillen, dissonanten Streichern hätte Alfred Hitchcock, der ursprünglich keine Musik für diese Szene vorgesehen hatte, den Mord unter der Dusche (Psycho, US 1960) nicht gestalten können.

Verbessert durch die Synchronisation wurde das Verfahren des sogenannten Mickey Mousing[13], bei dem sich die Musik den im Bild gezeigten Bewegungen anpasst, etwa dem Aufsteigen oder Herunterfallen. Diese Bewegungsimitation wurde aus Walt Disneys Zeichentrickfilmen in den Spielfilm übernommen. Allerdings hatte sie dort oft eine komödiantische Wirkung. Die Musiker waren nicht mehr alleine Herr über den Soundtrack. Sie entwickelten daher Techniken, um den sinfonischen Anspruch wahren zu können. Erich Wolfgang Korngold, berühmt für sein außerordentlich ausgeprägtes Zeitgefühl, setzte den musikalischen Höhepunkt der hinter der Sprache verlaufenden Musik in die Atempause der Akteure Underneathing.[14]

Die Leitmotivtechnik, die in Hollywood praktiziert wurde, war dem Musiktheater Richard Wagners abgelauscht. Personen oder Ideen war ein Thema zugeordnet, das durch eine traditionelle motivisch-thematische Arbeit die Handlung mit vollzog und sich mit anderen Themen verwickeln konnte. Es erfüllte wichtige dramaturgische Funktionen der Vorankündigung. In Hollywood musste in hohem Tempo komponiert werden. Auch angesichts dessen war die Leitmotivtechnik praktisch, weil sich der Komponist bereits vor der Beendigung des Films eine Art Vokabular erstellen konnte. Max Steiner, der diese Technik als Erster anwendete, achtete streng auf die Prägnanz seiner musikalischen Themen, so dass sie auch nach dem Schnitt noch erkannt wurden. So konnte das Tara-Thema aus Gone with the Wind (US 1939, R: Victor Fleming) aufgrund seines unüblichen Anfangs mit einem Oktavaufschwungs auf vier Töne gekürzt werden. Dieser Anfang ist musikgeschichtlich davor kaum nachzuweisen, entfaltet aber eine große expressive Kraft.[15] Liebe und Leid musste die Filmmusik allemal zum Ausdruck bringen.

Großer Wert wurde auf klingende Orts- und Zeitangaben gelegt, beispielsweise durch folkloristische Instrumente (die Zither steht für Wien in The Third Man, UK 1949, R: Carol Reed, M: Anton Karas) oder orthodoxe Kirchenmusik wie in Iwan der Schreckliche (RU 1944, R: Sergej Eisenstein, M: Sergej Prokofjev) zur Krönungsszene in der Kirche. In Hollywood investierte man Forschungsgelder in die Recherche passender Musik für die Historienfilme, die Miklós Rózsa zu vertonen hatte.

In den 1960er Jahren erhielten nur noch wenige Komponisten der alten Schule Aufträge; die große sinfonische Orchestrierung wurde zu einer Gestaltungsmöglichkeit unter vielen. Eine ständige Musikbegleitung, wie etwa in Gone with the Wind (dreieinhalb Stunden Musikuntermalung bei vier Stunden Länge) war unökonomisch geworden.

Zugleich fanden zeitgenössische Musikstile Eingang in das Filmgenre. War in den 1950er Jahren bereits vereinzelt Jazz zu hören (A Streetcar Named Desire, US 1951 R: Elia Kazan, M: Alex North), kam ab den 1960ern verstärkt Rockmusik zum Einsatz (Easy Rider, US 1969, R: Dennis Hopper; Taxi Driver, US 1976, R: Martin Scorsese, M: Bernard Herrmann). Auch elektroakustisch produzierte Klänge eroberten mit Instrumenten wie dem Ondes Martenot oder dem Theremin ihren Platz in Hollywood. Mit dem Trautonium realisierte Soundtracks wie der zu Hitchcocks Vögel (US 1963) von den Komponisten Oskar Sala und Bernard Herrmann wirken wie ein Vorentwurf späterer Synthesizer-Produktionen.

Diese Mittel konnten das Filmgenre allerdings nicht so umfassend erobern, wie es der sinfonische Sound getan hatte, der in den 1970er Jahren eine große Renaissance erlebte.

Eisenstein war übrigens ein Bewunderer des Mickey Mousing. Eisler kritisierte heftig seine Gleichsetzung eines Felsabsturzes mit einem fallenden gis-Moll-Dreiklang. Adorno, Eisler, Komposition für den Film (wie in Anm. 10), S. 114.  
Bei Synchronisationen geht dieser Effekt verloren.  
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