Expanded Cinema

2 Zur Entwicklung eines kritischen Ansatzes

Gilles Deleuze hat in seiner Untersuchung des Films und dessen historischer Entwicklung insbesondere nach 1945 eine deutliche Kritik besonders in Bezug auf dessen unreflektierte Funktionsweise formuliert. Er verweist dabei auf Filmemacher wie Rossellini, Antonioni oder Godard, die gezielt mit den gewohnten filmischen Traditionen brechen. Diese zunehmende Hinterfragung des filmischen Dispositivs lässt sich jedoch nicht nur in Bezug auf den Film selbst (die Montage, Kadrage etc.) erkennen, sondern ist durchaus auch im Hinblick auf den Präsentationsort des Films, das Kino und seine Aufführungssituation, relevant. Bereits 1952 hatte beispielsweise Guy Debord in seinem Film Hurlements en faveur de Sade, in dem er über 75 Minuten abwechselnd nur eine ganz schwarze oder weiße Leinwand zeigte, nicht nur die etablierte Narrationspraxis gängiger Filme attackiert, sondern stellte darüber hinaus auch den Ort des Films und seine technische Apparatur gezielt in Frage.[7] Besonders in den weißen Sequenzen, während denen Texte zum Thema Revolution und Jugend vorgelesen wurden, schweifte der Blick des Publikums immer wieder in die sonst im Dunkeln versteckte Kinoarchitektur. Das von Deleuze angemahnte Bewusstmachen einer filmischen Funktionsweise wurde hier also von Debord auf den Ort des Films selbst erweitert.

Diese Kritik des Kinos sollte einige Jahre später von anderen Mitgliedern der von Debord mitgegründeten Situationistischen Internationale weitergeführt werden. Dabei stand aber nicht nur das Kino, sondern ebenso der gesamte städtisch organisierte Raum zur Diskussion. Ein Projekt, das diese sich ausbreitende Kritik an Stadt und Kino in sich vereinte und dabei nach neuen Präsentationsformen suchte, war New Babylon von Constant.[8] In diesem aus verschiedensten Medien und Formaten bestehenden Entwurf einer Stadt sowie dem in ihr stattfindenden Leben sollte sich der Mensch, so Constant, aus einem starren Funktionsgefüge der Stadt befreien und zu einem eher spielerischen Umgang mit dem Raum als topografischer, urbanistischer Kategorie finden. Für die Erweiterung seiner Raumdiskussion hin zum Kino/Film kooperierte Constant mit dem Filmemacher Hy Hirsch. Dieser lotete in seinem Film Gyrmorphosis (1956) die Raumpotenziale des Lichts und der Farbe aus und öffnete so, die Idee der Farblichtmusik aufnehmend, eine Auseinandersetzung in Bezug auf die verengte Raumidee des Kinos. Das Projekt griff dabei weniger die Frage der klassischen Filmprojektion auf, sondern ist vielmehr im Kontext der von László Moholy-Nagy in den 1920er Jahren durchgeführten skulpturalen Lichtexperimente wie z.B. Licht-Raum-Modulator (1930) und Lichtspiel Schwarz-Weiß-Grau (1930) zu verstehen.[9]

Auch auf andere Bezugsfelder der 1920er Jahre, wie die Visual Music oder die Farblichtklaviere, wurde ab den 1950er Jahren erneut referiert. Dabei stand oftmals nicht mehr die Kritik des filmischen Dispositivs im Zentrum des Interesses, sondern die Erweiterung der filmischen Erfahrung. Harry Smith beispielsweise konzipierte seine filmischen Experimente nicht zuletzt in intensiver Auseinandersetzung mit dem Jazz und entwickelte zahlreiche Projektionsideen für musikalische Performances im Bop City Jazz Nightclub in San Francisco.[10] Ebenso setzte sich Jordan Belson, Smiths langjähriger Studienfreund, zunehmend mit der Idee des visuellen Konzerts auseinander, das den klassischen Rahmen des Kinos verließ. Gemeinsam mit Henry Jacobs entwickelte Belson ab 1957 eine Serie von Filmabenden, die im Morrison Planetarium in San Francisco unter dem Namen Vortex Concerts berühmt wurden. Dabei nutzte er nicht nur die architektonischen Voraussetzungen des Observatoriums mit der gewölbten Projektionskuppel, sondern ebenfalls das gesamte technische Equipment des Ortes. Belson konnte hierdurch nicht nur mehrere Filme parallel laufen lassen, sondern diese auch überblenden oder parallel ineinander verschieben und so die klassische Bildkadrage überwinden. Trotzdem betonte er, dass es ihm nicht um einen psychedelischen Trip ging. Gegenüber Scott McDonald formulierte er: I used the effects carefully. I wasn’t just blasting the audience psychedelically. It was all carefully composed, and synchronized with the music.[11] Die Vortex Concerts wurden so also zu einer Art kontrolliert expandierter Raumerfahrungen, die sich deutlich von einem klassischen Kinoerlebnis absetzten. In diesem Sinne prägte Gene Youngblood mit Bezugnahme auf derartige Präsentationsformen den Begriff Expanded Cinema.

Dass diese expandierte Form des Kinos neben der Resonanz im Bereich der Künste auch im kommerziellen Bereich zunehmend Bestätigung fand, zeigt sich deutlich an einem Projekt, das fast zeitgleich zu Belsons Vortex-Idee entstand. Charles und Ray Eames arbeiteten anlässlich der 1959 in Moskau präsentierten American National Exhibition mit Richard Buckminster Fuller zusammen, um einen Projektionsraum für das Multiscreen-Projekt Glimpses of the USA zu entwickeln.[12] Die Intention, die dieser kinematografischen Installation zugrunde lag, war dabei weniger kritischer oder medienreflexiver als vielmehr affirmativer Natur. Der Besucher dieser Installation konnte sich dem überwältigenden immersiven Eindruck, den die Bilder dieser Propagandamaschine auslösten, kaum entziehen.

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