Klangkunst

8 Über-Setzung

Auch Übertragungen sinnlicher Reize von einer Sinnesmodalität in die andere basieren auf einem Medienwechsel und bedürfen einer Über-Setzung, also einer an den Eigensinn des jeweiligen Mediums gebundenen Transformation. Dies zeigen die singenden Flammen in Andreas Oldörps One of us cannot be wrong (ab 1996). Gasflammen erzeugen in zwei Glasröhren thermische Luftbewegungen, die durch Interferenz hörbare Luftschwingungen hervorrufen. Wahrgenommen wird ein Zusammenhang zwischen Flamme (als Archetyp der Licht- und Wärmequelle) und Ton (als Grundelement der Musik). Tonhöhe und Klangfarbe hängen aber nur marginal von Lichtfarbe und -helligkeit ab. Stattdessen prägen Proportionen (Rohr, Raum), Materialbeschaffenheit (Rohr, Raumwände) und Temperatur das Schwingungsverhalten.

Technischen Zusammenhängen zwischen visuellen und klanglichen Strukturen geht auch Carsten Nicolai mit telefunken (2000) nach. Verschiedene synthetische Tonsignale (Rechteckwellen, Impulsfolgen, Rauschen) erzeugen als Input an einem normalen Fernsehgerät visuelle Muster. Wir sehen hier aber nicht direkt, wie Schall an und für sich im Video aussieht, denn Visualisierungen wie bei telefunken zeigen Bewegungen, die als Trugbilder der Interferenz zwischen den technischen Werten des Audiosignals und des Bildsystems (Bildwiederholrate und Anzahl der Bildzeilen des Fernsehstandards) entspringen.

Zudem werden Schwingungen für den Menschen just an dem Punkt hörbar (ab ca. 18 Hz), an dem das Auge die Bewegung nicht mehr auflösen kann, weswegen die Einzelbilder des Films bei ca. 18 Bildern pro Sekunde zu einer fließenden Bewegung verschmelzen. Hörbare Schwingungsvorgänge können also mit dem Auge nicht unmittelbar verfolgt werden. Nur in einer Zeitlupenaufnahme, musikalisch gesprochen einer Transposition, wären sie auch visuell zu beobachten. Im Rahmen ihrer Installation Rigid String Geometry (2006) erzeugten Ludger Hennig und Hanns Holger Rutz einen solchen Zeitlupeneindruck in Echtzeit durch Interferenz der Bildwiederholrate beim Fernseher mit den Schwingungen einer Klaviersaite vor dem Bildschirm.

Diese Beispiele zeigen, dass nicht eine eigentliche Entsprechung, sondern vielmehr eine spezifische Interaktion eines bestimmten technischen Systems mit unserer Wahrnehmung eine Klang-Bild-Beziehung hervorbringt.

Eine auf Digitalität basierende Form der Über-Setzung stellt Jens Brand her, indem er die Funktionalität der Nadel eines Plattenspielers algorithmisch simuliert und auf die virtuelle Abtastung der Erdoberfläche anwendet. Brands Daten-Über-Setzung stellt darüber hinaus ein Beispiel für künstlerische Sonifikation dar – ein Verfahren, das in der zeitgenössischen Klangkunst vermehrt Anwendung findet.

Klangkunst hat sich bis in die 1990er Jahre mit Sujets wie Verräumlichung der Zeit, Interaktion und auditive Sensibilisierung als Gattung zwischen den Künsten, zwischen den Medien und mithin zwischen Ton und Bild etabliert. Seit dem Ende der 1990er Jahre wird das Verhältnis von Bild und Ton in immer mehr medialen und kunstpraktischen Konstellationen thematisiert. Mittel der Klangkunst tauchen in der Medienkunst, in netzbasierten Arbeiten oder in Konzertinstallationen als Versatzstücke auf bzw. bilden innerhalb eines Werks nur einen von mehreren Aspekten. Klangkunst, ein Resultat der Entgrenzung, wird zunehmend selbst entgrenzt.

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